Die Perspektive der Anderen – Flüchtlinge und Nichtdeutsche in Weil der Stadt 30. Oktober 202431. Oktober 2024 Rückblick – Grüner Treff am 17. 10. 24 Das Thema „Migration“ beschäftigt die Bevölkerung derzeit am meisten. Dabei ist die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr drastisch zurückgegangen. Die Zahl der Gewalttaten ist nach vielen Jahren des Rückgangs etwas gestiegen- etwa auf das Niveau von 2007. Bis Anfang 2023 lag die Anzahl der Menschen, die den Themen- komplex „Ausländer, Migration, Flüchtlinge“ für das wichtigste Problem in Deutschland hielten, immer zwischen 9 und 11 %. Am 27.09.24 waren es 42%. Im gleichen Zeitraum stürzte der Themenkomplex „Klima, Energie, Versorgung“ von 44% auf 17% ab. Christian Stöcker schreibt dazu im SPIEGEL in seiner lesenswerten Kolumne Folgendes: „Die Wahrheit ist: Die eskalierende Klimakatastrophe wird irgendwann Flüchtlingsbewegungen auslösen, gegen die sich die von heute wie Rinnsale ausnehmen.“ Trotzdem ist das Thema „Migration“ auf den ersten Platz gerutscht und das Thema „Klima“ läuft unter ferner liefen. Diese Entwicklung erklärt sich primär dadurch, dass alle- vor allem die Union, mittlerweile aber sogar die Ampelparteien- in den migrationsängstlichen Chor der Klimawandelleugnerpartei AfD eingestimmt haben, so Stöcker. Unterstützt von Talkshows und Berichterstattung. Und umgekehrt aufgrund der „gnadenlosen Kampagne“ von der Bildzeitung und anderen Blättern gegen Wärmepumpen, E-Autos und erneuerbare Energien. Beim Thema „Migration“ aber wird fast immer nur über die Flüchtlinge, über die Ausländer und über die Asylanten gesprochen. Bei seinen einleitenden Worten betonte Stefan Kunze vom Ortsverband der Grünen, dass an diesem Abend aber diese die Möglichkeit bekommen sollten selbst zu berichten, wie es ihnen in Deutschland geht und warum sie ihre Heimat verlassen haben bzw. fliehen mussten. Außerdem wurde die wertvolle ehrenamtliche Arbeit des AK Asyl vorgestellt. Maria Solis Nogueda kommt ursprünglich aus Mexiko. Sie ist Ingenieurin und arbeitet bei der Firma Bosch. Sie lebt seit 17 Jahren in Deutschland, ist mit einem deutschen Mann verheiratet und hat einen kleinen Sohn. Seit zwei Jahren besitzt sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wuchs in sehr armen Verhältnissen im Süden Mexikos auf. Als sie vier Jahre alt war, floh ihre Mutter mit ihr in die USA. Weil der Druck der Großeltern so groß war, ging es zurück in ihr Dorf, da erfuhr sie als 9 jährige die Hoffnungslosigkeit. Sie wusste eines ganz genau. Nur wenn sie alle ihre Kräfte und ihre Energie in die Schule stecken würde, hatte sie die Chance, den ärmlichen Verhältnisse zu entkommen. Sie schaffte dies und erhielt ein Stipendium. Maria empfindet es als Privileg, in Deutschland zu leben. Das vermittelt sie auch ihrem Sohn. Seit ein paar Jahren aber spürt sie die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Den alltäglichen Rassismus erlebt sie auch in Weil der Stadt immer wieder. Anhand der von ihr genannten Beispiele wurde dieser für jeden im Raum deutlich spürbar. Ihre große Sorge ist es, dass es immer mehr zu zwei Fronten kommt, die sich gegenüberstehen. Hier die Nichtdeutschen und die Flüchtlinge und dort die Deutschen, die diese nicht hier haben wollen. Sie möchte sich dafür einsetzen, dass diese Fronten und Mauern die Atmosphäre in Deutschland nicht vergiften. Dass es auch viele deutsche Bürger gibt, die für Weltoffenheit und ein Miteinander stehen, weiß sie zu schätzen. Aus der Türkei ist Saban Gövec mit seiner Familie geflohen. Von Heidelberg ging es in eine Unterkunft nach Malmsheim, von dort in eine Wohnung nach Merklingen. Er spricht nach dreieinhalb Jahren sehr gutes Deutsch, seine Söhne gehen in die Würmtalschule und die kleine Tochter, die in Deutschland geboren ist, besucht den Kindergarten. Saban und seine Frau Alev arbeiten ehrenamtlich beim AK Asyl in Weil der Stadt und kümmern sich dort vor allen Dingen um die türkischen Flüchtlinge, die nach wie vor in großer Zahl kommen. In der Türkei war Saban Offizier bei der Luftwaffe und unterrichtete die Kadetten im Fach Englisch. Er war sehr lange gerne Englischlehrer, bis sich nach dem vermeintlichen Putsch in der Türkei im Jahre 2016 alles veränderte. Neben den Kurden, die seit Jahrzehnten unter der Unterdrückung in ihrer Heimal leiden, gab es nun für die Erdogan-Regierung zwei neue Feindbilder: die Armeeangehörigen, die sich eng der NATO verpflichtet fühlen und deshalb auch keinen Krieg in Syrien führen wollten und die Anhänger der Gülen-Bewegung, die laut Erdogan verantwortlich für den Putsch gewesen sind. Letztere hatten Erdogan früher unterstützt, zogen sich jedoch zurück, als Erdogans Partei durch Korruption und schlechte Politik immer weiter von europäischen Werten abwich. Saban wurde immer mehr beobachtet und aus Istanbul nach Izmir zwangsversetzt. Sein Dienstvorgesetzter, der Schulleiter, konfrontierte ihn mit einem Dokument, auf dem zu lesen war, dass Sabans Vater (!) in einem Bergwerk gearbeitet hatte, dessen Besitzer der Gülen- Bewegung nahestand. Immer mehr Freunde und Bekannte von Saban wurden verhaftet und als ein Rechtsanwalt eines Freundes Saban darüber informierte, dass er auch auf einer Liste stand, beschloss die Familie zu fliehen. Sehr schnell hat er die deutsche Sprache gelernt und eine Umschulung gemacht. Heute arbeitet er als Software-Test-Manager. Merklingen ist seine Heimat geworden, wo er und seine Familie Geborgenheit fühlen. Dort wollen seine Frau und er bleiben, nachdem sie in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Er engagiert sich beim TSV Merklingen und möchte mit der Initiative „Himmel“ den interreligiösen Dialog, soziale Verantwortung und friedliches Zusammenleben fördern. Für die „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (giz) arbeitete Ahmad Rahmani in Afghanistan. Die Stärkung der Frauen- und der Menschenrechte waren dabei sein Thema. Nach der ersten Taliban-Regierung (1996-2001) hatte sich die Situation in Afghanistan merklich verbessert. 2021, bevor die Taliban erneut die Macht übernommen hatten, waren ca.33% der Behördenmitarbeiter weiblich. Weil Ahmed für die Deutschen gearbeitet hatte, wurde er für die islamistische Taliban ein Hauptfeind. Er konnte mit seiner Frau, den beiden Töchtern und einem Sohn Afghanistan gerade noch verlassen. Insgesamt sind über 30000 Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland gekommen. Einige aber stecken in Islamabad (Pakistan) noch fest. Für Ahmad war es nicht leicht, seine Heimat zu verlassen. Aber die Flucht war alternativlos, weil das Taliban-Regime mit brutaler Härte gegen alle Bürger vorgeht, die mit europäischen oder amerikanischen Organisationen zusammengearbeitet haben. Ahmad hat sehr schnell die deutsche Sprache gelernt und das C1-Sprachzertifikat erhalten. Ehrenamtlich hat er an Projekten wie „Stuttgart-Afghanistan“ im Lindenmuseum gearbeitet und in Weil der Stadt ist er beim Arbeitskreis „Asyl“ tätig. Ahmad hilft dabei aktiv den geflüchteten Landsleuten. Deutsche Freunde haben ihm und seiner Familie immer Unterstützung angeboten. Trotzdem hat er Angst, dass die Parteien mit rassistischen Ideen und Ausländerfeindlichkeit wieder erstarken. Er hat konkret Angst davor, dass diese Parteien in Zukunft an Einfluss gewinnen und das Leben der Geflüchteten, die friedlich in der deutschen Gesellschaft leben, erschweren. Zu guter Letzt erzählte Marianne Maier vom AK Asyl über die Arbeit in diesem wichtigen Ehrenamt. Sie ist schon lange dabei. 1995 hätte es in Weil der Stadt noch keine Willkommenskultur gegeben. Mit der Flüchtlingswelle 2015 begann „ein neues Zeitalter“. Die ehrenamtlich arbeitenden Weil der Städter Bürger waren wichtiger denn je und halfen so viel sie konnten. Die Geflüchteten kamen in der Benzstraße 3 und 5, in der Stäbler-Villa, im Blannentalhof und in der Luisenstraße (beides Merklingen) unter. 2017 gab es in der Benzstraße einen Brand, der glimpflich ausging. Frau Maier betonte, dass die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung mittlerweile gut laufen würde. Die Wertschätzung durch den Bürgermeister wäre spürbar. Der AK Asyl arbeitet eng mit dem Stuttgarter Flüchtlingsrat zusammen. Jederzeit seien Mithelferinnen und Mithelfer willkommen – egal welcher Religion man angehört oder welche Staatsangehörigkeit man besitzt (info@ak-asyl-wds.de).